Zito Marx - Salto Musicale

BlogWarts Corner #9



BlogWarts Corner # 9


Es gibt eine Menge Gründe, warum man seinen Blog nicht schreibt. Der beste ist folgender: Man hatte kein Bock!

Wie praktisch, dass es dazu eine Geschichte in "Nach Diktat verreist" gibt. Wenn ich das heute lese, wundere ich mich über mich selbst. Denn eigentlich hatte ich kein Bock!



KEIN BOCK

Ein nicht uninteressanter Zustand. Euphemistisch würde man vielleicht sagen: »motivationsmäßig ausbaufähig« oder »mit unterdurchschnittlichem Lustfaktor«. Klingt beides eigentlich ganz gut. Aber Bocklosigkeit gibt es für bzw. gegen alles und jeden. Insofern handelt es sich um ein universelles Prinzip. Und auf was man alles kein Bock haben kann, ist natürlich stark subjektiv. Das geht auch mir so. Und es unterliegt im Laufe der Jahre einem stetigen Wandel. Was früher einmal »hui« war, kann morgen schon »pfui« sein; und umgekehrt.
Die Band Jennifer Rostock hat darüber mit »K.B.A.G. - Kein Bock, aber Gästeliste« einen eigenen Song gemacht. Das spiegelt natürlich nur einen kleinen Splitter dessen wider, was man sich so alles nicht geben möchte. Und es ist sicherlich nichts, was die Musikbranche für sich exklusiv hätte. Mir fällt da so einiges ein!

Mein Mobilfunkprovider ruft mich an und möchte mir einen neuen Tarif präsentieren, der auf mich persönlich zugeschnitten ist. Ein absolutes Schnäppchen, es sei knapp am Rande der Selbstausbeutung. Die Konkurrenz könne da kaum mithalten. Man stellt ständig neue Handys in Aussicht, die es fast jährlich dazu gibt! Ich kann ein Gähnen kaum unterdrücken. Denn ich habe kein Bock!

Hin und wieder kommt es vor, dass vor der Tür ein »Drücker« steht, der mir irgendein Zeitungsabo aufschwatzen möchte. Alles sei unheimlich günstig und total sinnvoll sowieso. Ich sage nichts und schließe wieder die Wohnungstür. Denn ich habe kein Bock!

Ich bekomme ein bestimmtes Buch empfohlen und besorge mir die Schwarte. Bis zur Seite 400 halte ich durch. Noch einmal fast so viele liegen vor mir. Ich muss abbrechen, denn das Leben ist zu kurz für schlechte Bücher. Ich habe kein Bock mehr!

Vor der Tür steht ein Mitarbeiter meines Kabelnetzbetreibers. Ob er mal die Stärke des Signals an meinen Anschluss messen könne. Er misst und zückt danach einen Vertrag über einen gesteigerten Empfang von über 100 Programmen, alles in HD. Ich schmeiße ihn raus. Denn ich habe kein Bock!

Ständig verliert Borussia Dortmund. Ich finde das total ätzend. Manch einer will von mir wissen, woran das liegt. Ich reagiere mit Schulterzucken und schweige. Denn ich habe kein Bock.

Sport soll total wichtig sein. Fast jeder sagt das. Ständig sind andere Leute dabei, ihren Körper zu »optimieren«. Ich lehne das ab. Denn ich habe kein Bock.

Kann man aus Fehlern lernen? Bestimmt. Das setzt aber irgendwie voraus, dass man sich zumindest im Nachhinein damit auseinandersetzt und ein bisschen räsoniert. Da bin ich raus. Denn ich habe kein Bock.

Mit Alkohol kann man sich völlig abschießen, muss man aber nicht. Die Dosis macht das Gift! Ich bin schon seit vielen Jahren abstinent. Warum? Ich habe kein Bock.

Ständig läuft im Fernsehen irgendein Mist. Natürlich gibt es auch gute Sachen. Dazu müsste man aber ein bisschen suchen. Dann bleibt die Glotze halt aus! Denn ich habe kein Bock.

Es gibt viele schöne Seiten des Schreibens. Man erfindet eigene Welten und denkt sich Charaktere aus, wie es einem gefällt und die interessant sind. Aber: Manchmal habe ich einfach kein Bock.

Soziale Medien im Internet machen es mittlerweile möglich, sich zu allem und jedem irgendwie zu äußern. Früher hatte jedes Kaff einen Dorfdeppen, heute hat jeder Depp eine Kamera oder eine »Meinung«. Da bin ich raus. Denn ich habe kein Bock.

Manchmal scheint die Sonne wochenlang nicht. Das bringt keine gute Laune. Manche sorgen vor und fangen schon im Herbst an, Johanniskraut zu nehmen, um gewappnet zu sein. Ich mache das nicht. Denn ich habe kein Bock.

Eigentlich ist es total ätzend, wenn jemandem im Radio quasi die Sonne aus dem Hintern scheint und man mit »Gute-Laune-Terror« behelligt wird. Ich rege mich nicht weiter auf und schalte ab. Denn ich habe kein Bock.

Ich bin immer wieder erstaunt, welches Maß an Militanz Vegetarier oder Veganer gegenüber anderen aufbringen. Ich halte nichts von »Zwangsbeglückung«. Denn ich habe kein Bock.

Ein recht bekannter Sänger lädt mich zu seinem Konzert ein. Ich gehe nicht hin. Vielleicht schaue ich mir den Auftritt später auf youtube an. Rausgehen? Ich habe kein Bock.

Ich habe eine starke Abneigung gegen Menschen, die ein taktisches Verhältnis zur Wahrheit haben. Ich finde nicht, dass ich mich mit anderen auseinandersetzen muss, für die eine Lüge eine ziemlich normale Form der Kommunikation ist. Ich habe darauf kein Bock.

Ich möchte mich im Schreiben von Songtexten versuchen. Bei Schlagern besteht ein erhöhter Bedarf. Das soll ziemlich lukrativ sein. Aber ich habe kein Bock.

Das Internet ist schier unerschöpflich in seinen Möglichkeiten, sich zu informieren. Ein gewisses Maß an Selbstbeschränkung tut not. Wie praktisch, dass ich oft kein Bock habe.

Offenbar sind Katzenbilder in sozialen Netzwerken für viele total großartig. Ich sehe das nicht so. Denn ich habe meistens kein Bock.

Es mag Leute geben, bei denen die »Zeit« auf dem Klo liegt. Für mich ist das zuviel Text. Denn ich habe kein Bock.

Ich kenne jemanden, der früher keine Fernbedienung für den Fernseher hatte und deshalb manchmal den ganzen Abend nur ein Programm gesehen hat. Bloß nicht aufstehen. Der hatte definitiv kein Bock.

Für echte Prokrastination reicht Bocklosigkeit eigentlich nicht aus. Aber hilfreich ist es auf jeden Fall. Wie buchstabiert man dieses Wortungetüm? Ich habe jedenfalls kein Bock.

Sobald in Berlin die Sonne im Frühjahr rauskommt und ein bisschen Kraft hat, zieht es die Leute nach draußen. Oft sitzen sie mit Pudelmütze vor den Cafés. Ich bin nicht dabei. Denn ich habe kein Bock.

Heutzutage kann man für alles Mögliche Vorsorgeuntersuchungen machen. Ich hätte Zeit. Aber ich habe kein Bock.

Ein Versicherungsmakler schlägt die Hände über dem Kopf zusammen, weil ich angeblich völlig unterversichert bin. Das kann sein. Aber ich habe kein Bock.

In meiner Spüle stapeln sich Teller und Tassen. Bald könnte sich ein bizarres Eigenleben entwickeln. Abwaschen würde helfen. Aber ich habe kein Bock.

Wenn man sich in den Finger schneidet, verursacht das meistens Schmerzen. Dann könnte man schreien. Ich aber nicht. Denn ich habe kein Bock.

Niemand weiß, ob und wann die Welt untergeht. Ich auch nicht. Natürlich kann ich dazu nichts sagen. Jedenfalls habe ich kein Bock.

Ständig bekomme ich irgendwelche Emails von Leuten, die irgendwas wissen wollen. Ich antworte nicht. Denn ich habe kein Bock.

Mein Keller ist aufgebrochen worden. Das hat mir meine Nachbarin erzählt. Ich sehe nicht nach. Denn ich habe kein Bock.

Der Abfluss meiner Wanne scheint ein wenig verstopft. Man müsste mal einen Monteur anrufen. Mache ich aber nicht. Denn ich habe kein Bock.

Manche Leute finden, dass Mario Barth der größte Komiker aller Zeiten ist. Ich sehe das - freundlich formuliert - ein wenig anders. Ich rege mich lieber nicht weiter darüber auf. Denn ich habe kein Bock.

Es gibt eine Menge Leute, die meinen, dass man ständig erreichbar sein muss. Bei mir ist das Handy oft länger aus. Denn ich habe kein Bock.

Jemand fragt, ob ich mit zu einem »Meet and greet« einer bekannten Band gehen möchte. Um Gottes Willen! Ich habe kein Bock.

Andere Länder, andere Sitten. Wer mal in den USA war, weiß davon ein Lied zu singen. Da passt man sich am Besten ein bisschen an. Mir fällt das schwer. Denn ich habe kein Bock.

Kann es sein, dass fast überall gelogen und betrogen wird, dass sich die Balken biegen? Ich denke nicht weiter darüber nach. Denn ich habe kein Bock.

Kann es sein, dass ich hier bestimmte Dinge doppelt genannt habe? Ich könnte das überprüfen. Aber ich habe kein Bock.


Eene, meene mu…und raus bist du. Gott sei Dank! Denn ich habe kein Bock mehr.





Bücher:

Salto Musicale, Roman 2012
Gib Pfötchen, Arschloch!, Erzählungen 2013
Phase C, Roman 2014
Nach Diktat verreist, Essays, 2015