Zito Marx - Salto Musicale

BlogWarts Corner #4



BlogWarts Corner #4

Montag war der internationale Tag der "Poesie". Wie schön. Aber wer "Poesie" sagt, muss auch was zum "Poesie-Album" sagen:

So wie hier (aus dem Buch "Nach Diktat verreist"):


POESIEALBUM

»In allen vier Ecken soll Liebe drin stecken.« Ein solcher Spruch ist in mehrerlei Hinsicht bemerkenswert. Denn erstens stammt er aus analogen Zeiten und zweitens wurde er meistens zu einer Zeit verfasst als die schreibende Person noch nicht völlig hormongesteuert war.
Poesiealben wurden bis zum Ende des letzten Jahrtausends immer mehr von anderen Büchern mit festen Kategorien wie »Meine Schulklasse« oder »Das Freundschaftsbuch« abgelöst. Dort trug man dann nur seinen Namen ein, manchmal klebte man ein Bild von sich dazu und gab Auskunft über Hobbys, Lieblingsfarbe und sportliche Interessen. Diese Kategorien waren bereits vorgedruckt, so dass das eigenständige Ausfüllen, vielleicht sogar in ganzen Sätzen, ohne »Multiple Choice« fast schon als Feuerwerk persönlicher Kreativität angesehen werden kann.
Poesiealben sind heute nicht mehr denkbar. Ein weißes Blatt, das nicht irgendwie durch »copy and paste« gefüllt werden kann, ist in digitalen Zeiten und sozialen Netzwerken schwer zu vermitteln. Insofern gehört es zu den vergangenen Dingen, die nicht wiederkehren werden und nur durch die Erinnerungen und schriftlichen Zeugnisse von Inhabern oder ehemaligen Adressaten weiterleben. Und solche kleinen Anekdoten gibt es eine ganze Menge.
Es kam relativ selten vor, dass jemand in diesem Rahmen rumpöbelte. Trotzdem ist überliefert, dass das schliche Geschreibsel »Du bist doof« beim Inhaber des Buches nicht so gut ankam und zu einer Zensuraktion führte, indem das Blatt schlichtweg herausgerissen wurde. Ob der verfassende Rüpel später weiter verhaltensauffällig war, ist nicht bekannt.
Oft war ein Poesiealbum auch ein Spiegelbild der eigenen Persönlichkeit des Schreibers bzw. der wahren Wertschätzung des anderen. Wenn man kein Bock hatte (und das hatte man ziemlich oft nicht), dann schrieb man meistens das Gleiche, das man schon zigmal verwendet hatte. Das war dann so eine Art linguistisch-semantisches »Malen nach Zahlen«. Hier hätte Karl-Theodor zu Guttenberg seine Freude gehabt. Fairerweise muss man sagen, dass der Vergleich ein wenig hinkt. Denn dass man fremde Sprüche hier nicht als seine eigenen ausgab, war eigentlich jedem klar. Nur das mit dem »Du bist doof«, das beruhte auf eigenen Gedanken. Hätte er mal lieber irgendwas anderes genommen!
Manchmal war es so, dass besonders kreative Personen nicht nur einen Spruch absonderten, sondern das Ganze dann auch noch grafisch ausschmückten, mit Bildern oder Zeichnungen versahen. Je individueller, desto weniger war es mit »Geh mir nicht auf den Sack!« konnotiert. Trotzdem gab es natürlich eine ganze Menge kleiner Sprüchlein, auf die man gern zurückgriff, ohne dass man gleich ein »Kreativitätsmuffel« war. Hier wurden so manche Klugheiten ausgesprochen oder für das weitere Leben vorweggenommen. Zum damaligen Zeitpunkt war einem das eigentlich herzlich egal. Nur ausgewiesene Fiesheiten machten sich nicht so gut. Aber dazu hatte ich ja schon was gesagt. Das Leben ist voller schlechter Prosa! Das wurde in Poesiealben nicht vorweggenommen. So mancher Reim war allerdings von nicht allerbester Güte. Geschenkt, denn nur der Wille zählt.

Hier einige Beispiele:

Lerne erst die Menschen kennen,
denn sie sind veränderlich.
Die dich heute Freunde nennen,
schimpfen morgen über dich!

Da ist was dran. Allerdings war es beim Wüterich, der mit »Du bist doof!« prägnant pöbelte, wohl eher umgekehrt. Hier kam das Schimpfen zuerst. Allerdings ist nicht davon auszugehen, dass sich später trotzdem eine Liebesbeziehung zwischen den beiden entwickelte. Aber ausgeschlossen ist es natürlich nicht. That´s life…

Wenn Du einmal traurig bist,
und das Lachen ganz vergisst,
schau in dieses Album rein:
Bald wirst Du wieder fröhlich sein!

Gut möglich, dass man sich vor Schadenfreude kringelt, wenn jemand vielleicht mit der deutschen Rechtschreibung auf Kriegsfuß stand. Auch ein Fremdschämen erscheint möglich, je nachdem wie empathiefähig man ist. In beiden Fällen ist jedenfalls erstaunlich, was ein kleines Büchlein so etwas in einem auslösen kann. Auf der nach oben offenen »Helene-Fischer-Skala« relativ weit oben.

Drei Engel mögen dich begleiten,
in deiner ganzen Lebenszeit
und die drei Engel die ich meine
sind: Liebe, Glück, Zufriedenheit.

Was auf den ersten Blick ein wenig esoterisch wirkt, kann man natürlich auch ganz anders verstehen: Scheiß auf Kohle, sei kein Arsch! Und hör bloß keine Schlager!

Du bist mein Glück,
du bist mein Stern,
auch wenn du brummst
ich hab dich gern.

Reim dich oder ich fress´ dich! Hier würde wahrscheinlich sogar so mancher abgezockte Schlagertexter nachschauen, ob nicht irgendwo etwas trieft. Ob so echte Zuneigung ausgedrückt wird? Ich habe Zweifel!

Bis die Flüsse aufwärts fließen,
bis die Hasen Jäger schießen,
bis die Mäuse Katzen fressen,
solang werd ich dich nicht vergessen!

Ein eher fatalistischer Ansatz! Kann man getrost unter der Rubrik »Mann beißt Hund!« abheften. Alles ziemlich unwahrscheinlich. Aber man hat ja auch schon Pferde kotzen sehen!

Sonne und Regen,
die wechseln sich ab,
mal geht´s im Schritt,
und mal geht´s im Trab.
Fröhlichkeit, Traurigkeit,
beides kommt vor.
Eins nur ist wichtig:
Trags mit Humor

Nur am Anfang mag man denken, dass sich dieser Spruch an Hobby-Meteorologen wendet. Aber dann kommt die große Lebensweisheit, der der große »Hugo Egon Balder« vermutlich zustimmen würde. Denn der bekannte einst: »Ich kann nichts ernst nehmen. Deshalb sind wahrscheinlich auch alle meine Ehen gescheitert.«

Rosen, Tulpen, Nelken,
alle Blumen welken,
nur die eine nicht,
und sie heißt Vergissmeinnicht.

Der Florist in uns frohlockt. Und der Orthographie-Junkie gleich dazu. Denn hier wird Blume ohne »h« geschrieben. Natürlich. Das sehen aber leider nicht alle so! Egal, ob Schadenfreude oder Fremdscham, beides fällt jedenfalls aus!

Bleibe froh und stets gesund,
sorgenfrei zu jeder Stund.
Glück und recht viel Sonnenschein
sollen dir beschieden sein.

Viel Alkohol hilft viel! Aber spätestens, wenn irgendwann ein grelles Licht erscheint, dann sollte man die Flasche mal absetzen. Denn es wird wohl nicht sie Sonne sein!

Willst du glücklich sein im Leben,
trage bei zu And'rer Glück
denn die Freude, die wir geben,
kehrt ins eigne Herz zurück.

Könnte es sein, dass die »Kastelruther Spatzen« sich davon haben inspirieren lassen. Falls ja, ist es ihnen jedenfalls gelungen, ihr gesamtes musikalisches Schaffen irgendwie darauf aufzubauen. Dafür gibt es von mir die »Goldene Himbeere« auf Lebenszeit.

Hab ein Lied auf den Lippen,
verliere nie den Mut
hab Sonne im Herzen
und alles wird gut!

Bei Monty Pythons »Das Leben des Brian« kommt diese quasi alltagsphilosophische Haltung in der Kreuzigungsszene zum Schluss noch besser zum Tragen. Denn dort heißt es: »Kopf hoch, Brian. Es gibt Dinge im Leben, die sind nun mal nicht schön. (…) Sei nicht sauer deswegen. Pfeif dir doch eins! (…)«

Was auch kommen mag:
Sei ohne Sorgen!
Nach jeder Nacht
Kommt ein neuer Morgen!
In jedes Dunkel
Kommt mal ein Licht
Das hell und strahlend
Durch Wolken bricht!

Was tun, wenn der Scheiß-Himmel im Winter mal wieder wochenlang wolkenverhangen ist?! Dann nützen auch dahin geschüttelte Reime nichts. Und der hier schon mal gar nicht!

Du hast ganz recht!
Die Menschen und die Welt sind schlecht.
Ein jeder Mensch ein Bösewicht,
nur du und ich,
wir beide nicht!

Das gefällt mir schon besser! Ein gehöriges Maß an Ironie, verbunden mit einer »Leckt-mich-am-Arsch-Haltung«. Wahrscheinlich kommt man so besser durchs Leben.

Wenn du lachst, lachen sie alle.
Wenn du weinst, weinst du alleine.

Ein leider ziemlich realistischer Ansatz. Nichts ist erfolgreicher als Erfolg. Hier mein Tipp für das Gegenteil: Mund abputzen, aufstehen, weitermachen!

Edel sei der Mensch, hilfreich und gut.

Goethe geht immer! Wenn einem nichts einfallen will, dann ziehe man halt den »Goethe-Joker«. Der hat so viel kluge Dinge gesagt, dass es sehr unwahrscheinlich ist, dass man völlig danebenhaut. Es sei denn, man möchte einen Schritt in Richtung »Gossen-Poesie« machen; dann vielleicht eher was von »Fips Asmussen«.

Zum Schluss noch ein Klopper von mir:

Was du heute kannst besorgen,
das verschiebe nicht auf morgen!

Der Horror für alle »Prokrastinierer« und solche, die es vielleicht mal werden wollen.


So viel vorweggenommene Lebensweisheit! Ich hatte auch mal so ein Album. Hätte ich mal reingeschaut! Hätte es irgendwas geändert? Hätte, hätte, Fahrradkette…

Bücher:

Salto Musicale, Roman 2012
Gib Pfötchen, Arschloch!, Erzählungen 2013
Phase C, Roman 2014
Nach Diktat verreist, Essays, 2015